Vor und in jedem Bild liegt eine Geschichte. Manche Geschichten schaffen sofort ein Bild. Eine Straße, die durch ein Dorf am Bodensee führt. Dort steht Annis Haus und vor dem Haus ein Berg von Dingen. Unpassend für den Ort. Es ist dieses Bild, das mich zu ihr führt. Aber kaum, dass ich Zeit mit Anni verbringe, löst es sich auf. Das mag daran liegen, dass wir beide Sammlerinnen sind; ähnlich vertraut mit Mangel und der Suche nach Sicherheit. Als junge Frau findet Anni ihre Liebe und verliert sie zu früh. Das verändert sie, ihren Glauben, ihr Leben im Dorf, ihren Blick auf die Welt. Sie ist von früh bis spät auf den Beinen, erhält den Hof, den Anbau von Obst, vermietet Zimmer, versorgt sich und ihre Hasen mit aussortierten Lebensmitteln.
Zum Wichtigsten aber wird – neben dem gewandelten Glauben – für Anni etwas anderes. Durch einen Pensionsgast erfährt sie von den Lebensumständen in seinem Heimatland, in Burkina Faso. Sie beginnt, Sachspenden zu sammeln und zu verkaufen. Seit 2010 bringt Anni den Erlös einmal im Jahr direkt vor Ort, um damit gezielt Einzelpersonen und Projekte zu unterstützen.
Anni hatte mir ohne Zögern erlaubt, sie in ihrem Alltag zu begleiten. Sie versprach sich durch meine Reportage mehr Aufmerksamkeit für ihr Engagement. Aber es war ihr fremd, sich fotografieren zu lassen. Ich hatte angekündigt, ich wolle ihr folgen wie ein Hund. Doch angekommen, hielt ich kaum Schritt mit ihr, geriet mit der Technik ins Stolpern. Verzweifelt suchte ich nach dem passenden Bild. Jeden Abend nahm ich mir vor, die Verfolgung sein zu lassen. Jeden Morgen zog Anni mich wieder mit, erschöpfte und fesselte mich erneut. Doch was mich rührte und bleiben ließ, war die Suche nach diesem Moment: ihr Blick, der sich nach innen kehrt und ihre Trauer spiegelt. Ich kenne ihn und weiß: er ist kostbar und heikel.